Zölliakie: Wenn Gluten Probleme macht
Gluten macht krank! Wusstet ihr noch nicht? Das kann man doch heute überall lesen. Wer heute noch glutenhaltige Lebensmittel zu sich nimmt, begeht Körperverletzung am eigenen Leib. Oder haben wir es hier einfach mal wieder mit einem haltlosen Hype zu tun?
Heute ist es ja en vogue, gegen bestimmte Lebensmittelbestandteile allergisch zu sein oder sie nicht zu vertragen: Laktose, Gluten, Fruktose, Histamin…die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Entsprechend häufig sind die Artikel, Blogs und Videos, in denen eine Ernährung, die einzelne oder gleich all diese Stoffe ausklammert, beworben wird. Doch braucht es das wirklich?
Gluten, das Klebereiweiß
Bei Gluten handelt es sich um um ein Gemisch verschiedener Proteine, das in den Samen vieler Getreidearten vorkommt. Für die Lebensmittelindustrie ist Gluten von imenser Bedeutung, denn seine namensgebende Eigenschaft sorgt dafür, dass man überhaupt Brot in Form eines Laibes backen kann. Durch seine Dehnbarkeit erlaubt das Gluten das Aufgehen von Gebäck und gibt ihm im fertigen Zustand seine Festigkeit. Die Menge von Gluten im Mehl ist von Getreide zu Getreide unterschiedlich.
Glutengehalt in mg je 100g Lebensmittel | |
Lebensmittel | Mittelwert |
Dinkelmehl Typ 630 | 10.300 |
Dinkel (ganzes Korn) | 9.894 |
Dinkelmehl Vollkorn | 9.460 |
Weizenmehl Typ 812 | 9.420 |
Eierteigwaren ungekocht | 9.040 |
Weizenbrötchen | 9.183 |
Weizenmehl Typ 550 | 7.520 |
Weizen (ganzes Korn) | 7.700 |
Weizentoast | 6.900 |
Weizenvollkornbrot | 6.500 |
Haferflocken | 5.660 |
Hafermehl Vollkorn | 5.600 |
Hafer (ganzes Korn) | 4.557 |
Eierteigwaren gekoch | 4.300 |
Weizenmischbrot | 3.840 |
Roggenmehl Typ 1150 | 3.483 |
Roggenschrot Vollkorn | 3.450 |
Roggen (ganzes Korn) | 3.117 |
Roggenvollkornbrot | 1.580 |
Roggenbrot | 1.200 |
Quelle: Andersen et al. 2015
Kein Gluten enthalten Reis, Mais, Hirse, Quinoa, Amaranth und Buchweizen.
Zölliakie, seltener als man glaubt
Auch wenn die Vielzahl an Beiträgen zu diesem Thema es kaum vermuten lässt: Eine Glutenunverträglichkeit ist überaus selten, wobei die Zahlen zunehmen: Eine Untersuchung von Keller aus dem Jahr 2003 zeigte folgendes Bild: Nimmt man nur die Fälle als Grundlage, in denen es zu Symptomen kommt, liegt die Häufigkeit länderabhängig zwischen 1:10.000 in Ländern wie Dänemark und den USA und 1:3.000 in Ländern wie Schweden und Großbritannien. Zieht man die Fälle hinzu, in denen die Zölliakie durch Screeningverfahren diagnostiziert wird, landet man bei einer Häufigkeit von 1:5.000 in Deutschland und Dänemark und 1:1.100 in den USA und Großbritannien. Neuere Untersuchungen wie die Catassi et al (2014) gehen für Europa von einer Häufigkeit von einem Prozent aus, für Deutschland von nur 0,2 Prozent. Die umfangreiche KiGGS-Studie (Laass et al. 2015) hingegen ermittelt für Deutschland eine Häufigkeit von 0,9 Prozent. Die länderspezifischen Abweichungen werden mit den dort typischen Ess- und besonders Fütterungsverhalten bei Säuglingen erklärt (Zimmer 2003). Egal welcher Untersuchung wir nun Glauben schenken möchten, es ist kaum davon auszugehen, dass die Wahrscheinlichkeit, an einer Glutenunverträglichkeit zu leiden, über einem Prozent liegt. Und nur bei 10 bis 20 Prozent der Menschen, die unter einer Zölliakie leiden, treten überhaupt spürbare Symptome auf.
Unangenehme Folgen
Ist man jedoch wirklich von Zölliakie betroffen, sind die Symptome meist sehr unangenehm. In diesem Fall verursacht das Gluten im Magen-Darm-Trakt eine Erkrankung, die sowohl Symptome einer Allergie als auch einer Autoimmunerkrankung aufweist. Vereinfacht gesagt, entsteht eine Entzündung, die dafür sorgt, dass die Nahrung im Darm nur schwer aufgenommen werden kann, was zu Gewichtsverlust, Erbrechen, Durchfall, Müdigkeit, Depressionen bis hin zu einer Verlangsamung der körperlichen Entwicklung bei Kindern führen kann. Zölliakie kann nicht ursächlich behandelt werden, die einzige Lösung besteht für die Betroffenen also darin, glutenhaltige Lebensmittel zu vermeiden. Präventiv wird von der Europäischen Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung (ESPGHAN) empfohlen, Säuglingen vor dem vierten Lebensmonat kein Gluten zuzuführen. Während des vierten und sechsten Lebensmonats soll dann eine schrittweise Zufütterung erfolgen, um den Körper an das Gluten zu gewöhnen (Silano et al. 2010).
Fazit: Keine Panik!
Ja, es gibt Menschen, die unter einer Glutenunverträglichkeit leiden, aber hierbei sprechen wir von maximal einem Prozent der Bevölkerung und auch hiervon verspürt nur ein kleiner Teil überhaupt Symptome. Daher besteht zunächst einmal überhaupt keine Notwendigkeit, Gluten aus der Ernährung zu verbannen, wenn der eigene Körper damit gut umgehen kann. Liegen alle oder manche der obengenannten Symptome vor, kann ein Test sinnvoll sein. Dazu muss man aber nicht einmal zum Arzt. Einfach einmal ein paar Wochen auf glutenhaltige Lebensmittel verzichten und schauen, was passiert. Ein Konzept, das man übrigens auch wunderbar auf all die anderen angeblich bösen Lebensmittelbestandteile übertragen kann.
Quellen:
Andersen G, Köhler H, Rubach, M, Schaecke W (2015): Jahresbericht der Deutschen Forschungsanstalt 2014, Freising, S. 136 – S. 139.
Catassi C, Gatti S, Fasano A (2014): „The New Epidemiology of Celiac Disease“ Journal of Pediatric Gastroenterology & Nutrition, July 2014 Volume 59.
Keller R. (2003): Klinische Symptomatik „Zöliakie, ein Eisberg“. In: Monatsschrift Kinderheilkunde. Heidelberg 151.2003, 706–714.
Laass MW, Schmitz R, Uhlig HH, Zimmer KP, Thamm M, Koletzko S (2015):
The prevalence of celiac disease in children and adolescents in Germany—
results from the KiGGS study. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 553–60.
Silano M, Agostoni C, Guandalini S (2010): Effect of the timing of gluten introduction on the development of celiac disease. In: World J Gastroenterol. 2010 Apr 28; 16(16): 1939–1942.
Zimmer, KP (2003): Pathophysiologie der Zöliakie. In: Monatsschrift Kinderheilkunde. Heidelberg 151.2003, 698–705.
Autor: Thomas Koch www.ironhealth.de (Lizenzübernahme durch Übertragung Fitnessworld24.net auf Konzelmanns.de)